Psychoedukation

Psychoedukation bringt medizinische Fakten in eine gleichsam wissenschaftlich fundierte wie verständliche Sprache. „Psycho“ ist ein griechischer Wortstamm und bedeutet so viel wie „Seele“. “Educare“ stammt aus dem Lateinischen und hat die Bedeutung „aufziehen, erziehen, großziehen, aus der Unwissenheit/Unerfahrenheit herausführen“. Wörtlich übersetzt bedeutet die Zusammensetzung dieser beiden Begriffe demnach, die Seele aus der Unerfahrenheit herausführen. Es handelt sich um den Erwerb von Wissen und das Erkennen vorhandener Ressourcen sowie des eigenen großartigen Potentials für einen individuellen Lernprozess.

Neben dem Einsatz für Menschen mit Essstörungen ist die Psychoedukation seit Jahren ein anerkannter integraler Bestandteil der Therapie von chronischen organmedizinischen Erkrankungen. Zu den verhaltensmedizinischen Einsatzgebieten zählen Stoffwechselerkrankungen, chronisch-obstruktive Atemwegs- erkrankungen (Asthma), atopische Erkrankungen (Neurodermitis), rheumatische Erkrankungen (Fibromyalgie), chronische (Kopf-)Schmerzen, Herz-Kreislauferkrankungen, neurologische Erkrankungen (Epilepsie) und onkologisch Erkrankungen (Leukämie).

Zu den Erklärungsansätzen für den positiven Erfolg von lernenden Personen gehören die Korrektur von fehlerhaften Vorstellungen und Missverständnissen in Bezug auf die vorliegende Störung, die Lockerung dysfunktionaler Einstellungen sowie die Strukturierung des Leidens durch sachliche Aufklärung. Diese Faktoren lassen ihrerseits eine höhere Therapiemotivation entstehen, aus der wiederum eine Reduktion sekundärer Belastungen wie Scham, Selbstabwertung, Symptomstress und Stigmatisierung folgt.

Psychoedukation vermittelt seine Informationen größtenteils in Form von Übungen. Die Beschreibung dieser findet sich in Büchern, auf Internetplattformen oder im persönlichen Kontakt mit einer Trainerin. Die konsequente Ausführung psychoedukativer Anleitungen setzt einen Lernprozess in Gang, welcher sich auf die (psychische) Gesundheit des Menschen auswirkt.

Theoretisch sind psychoedukative Übungen in einer Weise beschrieben, dass sie selbständig ausgeführt werden können. Praktisch hat sich allerdings erwiesen, dass professionelle Begleitung den Erfolg für Betroffene deutlich steigert.

Ihren Ausgangspunkt nahm die Psychoedukation in der Arbeit mit psychotischen Menschen – Betroffene und deren Angehörigen wurden dabei unterstützt, Frühwarnzeichen eines weiteren psychotischen Schubs zu erkennen. Später wurde Psychoedukation zunehmend für andere psychiatrische Störungsbilder eingesetzt, wie für die generalisierte Angststörung, Depression, Sozialphobie, posttraumatische Belastungsstörung sowie für die Therapie von chronischen Schmerzen und eben Essstörungen. Mittlerweile ist Psychoedukation ein wirkungsvoller Bestandteil vieler psychotherapeutischer Verfahren. Während eines Psychoedukationstrainings bestimmt die Betroffene das Tempo, mit welchem sie Übungen bearbeitet, was der Psychoedukation eine klientenzentrierte Komponente verleiht. Vor allem geht die Psychoedukation jedoch auf die Kognitiven Verhaltenstherapie zurück, deren Wirkzusammenhänge vereinfacht folgendermaßen beschrieben werden können: Ändert jemand sein Denken, verändert sich gleichsam sein Verhalten und sein Fühlen. Dieser Zusammenhang besteht auch in die umgekehrte Richtung – sowohl das Verhalten als das Fühlen wirken sich auf das Denken aus. Damit fällt der menschlichen Kognition eine zentrale Rolle innerhalb der Psychoedukation zu.

Dazu ein kurzes Beispiel. Wer nicht weiß, dass die Aufnahme von Zucker den Gefühlszustand eines Menschen verändern kann, versteht nicht, warum er in Momenten intensiven Erlebens vermehrt zu Süßigkeiten greift. Wer diese Dynamik kompetent, empathisch und einleuchtend erklärt bekommt, wird darin motiviert, sich alternative, individuell passende Verhaltensweisen auszudenken, mit diesen zu experimentieren, sich für ein optimaleres Gelingen Unterstützung im privaten Umfeld zu holen und letztendlich einen gesünderen Umgang mit seinen Gefühlen zu erlernen. Eine Wissenslücke, die sich multifaktoriell ergeben und zu einer Essstörung geführt hat, wird geschlossen und ermöglicht die Integration einer lebenszugewandten Verhaltensweise. Auf diesem hier zum besseren Verständnis eindimensional beschriebenen Weg erfüllt sich letztendlich ein zentraler Sinn von Psychoedukation. Professionell aufbereitete Information über die Entstehungs- und Erhaltungsfaktoren einer psychischen Krankheit, sowie die Möglichkeiten, ihnen auf gesunde Weise zu begegnen, werden angeboten und im günstigsten Fall in einem individuell passenden Tempo, Modus und Umfang für das konkrete Alltagsleben übernommen. Es geht hier um eine Art Wissen der von einer Essstörung betroffenen Person, ein Wissen, welches in umgesetzter Form die (Selbst-) Wirksamkeit der Person verändert, ein Wissen, das Gesundheit schafft.

Der Lernvorgang im Rahmen von Psychoedukation meint jedoch nicht das Erwerben von fix Vorgegebenem, wie die allgemeingültige Bedeutung von Begriffen. Es geht um einen höchst individuellen Prozess – darum, die subjektive Bewertung von Erfahrungen sowie die Reaktionsweise auf diese zu erfassen und zu aktualisieren. Um das Gesagte verständlicher zu machen, nachfolgend auch dazu ein Beispiel – von Maria, einer von Essstörungen Betroffenen, und Sabine, ihrer Freundin:

Sabine sagt eine Verabredung ab. Maria denkt gewohnheitsmäßig, dass Sabine sie nicht mag. Das mit diesem Gedanken verbundene Gefühl ist, sich wertlos, einsam und belogen vorzukommen. Um das Gefühl zu dämpfen reagiert Maria mit dem Symptom ihrer Essstörung.

Psychoedukation macht diesen Zusammenhang deutlich und lädt dazu ein, einen alternativen Gedanken auszuprobieren. Dieser könnte zum Beispiel sein, dass Sabine viel gearbeitet hat, müde ist und sich heute lieber ausschläft als sich mit Maria zu treffen, sie das ein anderes Mal aber gerne wieder tun wird. Mit dieser Sichtweise würde Maria einen Umgang mit der Situation wählen, ohne ihren eigenen Wert anzutasten. Je nach Zugänglichkeit werden weitere Denkanstöße gegeben. Maria könnte zudem Vorfreude auf das nächste Treffen empfinden. Maria könnte froh sein, eine Freundin zu haben, die fähig ist, gut für sich selbst zu sorgen. Die Trainerin macht weitere Angebote zum Ausprobieren. Das damit verbundene Verhalten könnte sein, die frei gewordene Zeit dafür zu nützen, selbst ebenfalls besser für sich zu sorgen und beispielsweise einen Brief an jemanden zu schreiben, dem Maria schon länger ihre Meinung zu sagen überlegte. Resultieren könnte ein erster Kontakt mit einer gesünderen Denkweise, welche mit einer respektvollen Sicht von sich selbst und einer aufbauenden Art verbunden ist, den Tag fortzusetzen.

Das implizite Wissen, das auf diesem Wege bewusst gemacht werden kann, besteht in der Erkenntnis, dass Maria sich Sabines Verhalten bisher unhinterfragt selbst angelastet hat. In einem weiteren Schritt könnte erfasst werden, dass ähnliche Situation bisher meist mit einer Selbstabwertung einhergingen und also Auslöse-Situationen für die Symptomatik der Essstörung wurden. Die Selbstabwertung hält die Symptomatik der Essstörung aufrecht. Schlussendlich könnte Maria ihr Potential erkennen, einige von diesen Situationen aus eigener Kraft zu verändern und dadurch ihr Essverhalten gesünder zu gestalten.

Es ist die Aufgabe der Trainerin die Schritte der Veränderung so klein zu halten, dass sie zu einem Erfolg der Betroffenen führen. Diese und vergleichbare Erfahrungen ermutigen dazu, die Neuerungen langsam größer werden zu lassen. Außerdem sind für das Gelingen der Veränderung vorhandene Ressourcen von zentraler Bedeutung. Damit es möglich wird, alternativ mit der Auslöser-Situation umzugehen, ist es je nach Person hilfreich, tiefer zu atmen, Bewegung zu machen, sich Ruhe zu gönnen, ein Hobby zu pflegen, Menschen ins Vertrauen zu ziehen, Gefühle kreativ auszudrücken oder ein ermutigendes Buch zu lesen. Jeder neue Schritt kann mit der Trainerin vorausgedacht und im Anschluss im Hinblick auf Optimierungsmöglichkeiten reflektiert werden. Der Fundus aus der Fachliteratur und das Wissen über die Gesundungsprozesse stehen jederzeit zur Verfügung. Lob und Wertschätzung für Vollbrachtes motivieren dazu, sich weiter zu verändern.

Ein individueller Weg aus dem entgleistem Essverhalten wird erkennbar.